23.03.2010 Interne Veranstaltung der sozialen Ansprechpartner mehrerer Finanzbehörden. Lesung und Diskussion im Finanzamt Bottrop. 19.05.2010 Kreuzbund Fachverband Bingen Vortrag mit Diskussion. Holzhauser Straße 16 Hildegardisschule 55411 Bingen Start: 19:30 Uhr 25.06.2010 Caritasverband für das Bistum Dresden-Meißen e.V. Lesung mit anschließender Diskussion. Uhrzeit und Ort stehen noch nicht fest. |
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Co-Alkoholiker
Aber jetzt mal zum Thema Co-Alkoholiker. Was ist das
eigentlich?
Tja, das habe ich mich auch gefragt, als ich mit diesem
Wort das erste Mal konfrontiert wurde. Ich möchte das mal mit meinen eigenen
Worten beschreiben.
Du fühlst Dich total schlecht, ohne den Grund dafür zu
kennen und Dein Hausarzt findet nichts bei dir.
Du fühltst Dich komplett unverstanden, sagst das Deinen
Freunden und die schauen Dich mit großen Augen an und verstehen nur Bahnhof.
Alle unterhalten sich über den armen,
bemitleidenswerten Alkoholiker, aber keine Sau kümmert sich um Dich.
Und wenn der Alkoholiker endlich den Weg in die
Abstinenz gefunden hat, ist er der Held und Du bist wieder nur der Arsch. Du
hattest früher zwar eine große Mitschuld an seiner Sauferei, mit dem Erfolg
seiner Abstinenz hast Du aber nichts zu tun.
Und als Mann bist Du aus der Sicht der Gesellschaft
auch noch meist Schuld daran, dass Deine Frau säuft. Denn Frauen saufen nur,
weil sie es anders mit ihrem bescheuerten Mann nicht ertragen.
Das nennt man „Co-Alkoholiker sein“ aus dem Blickwinkel
eines Co-Alkoholikers!
Oder, um es mal ganz banal zu formulieren:
Co-Alkoholiker zu sein ist eine scheiß Krankheit und
sie macht einsam!
Da ich bezüglich der Alkoholkrankheit meiner Frau co-abhängig
bin, kann ich natürlich auch nur über diese Art der Co- Abhängigkeit
schreiben. Ich weiß aber von anderen Menschen, dass es bei Ihnen das gleiche
ist, wenn sie von den Verhalten oder Süchten in ihrem Umfeld erzählen. Und
ich selbst habe mittlerweile auch andere Co-Abhängigkeiten bei mir entdeckt,
die mich ebenfalls stark an mein Verhalten zu meiner Frau erinnern.
Nach meiner Erfahrung kann man Co-Abhängigkeit nur
richtig beschreiben, wenn man sie selbst erlebt hat. Dazu gehört wesentlich
mehr als die akademische Beschreibung aus einem Lehrbuch. Und am besten
funktioniert das Erklären anhand von Beispielen. Und damit bin ich dann auch
direkt bei mir und diesem Buch.
Ich muss auch nach mehr als zehn Jahren der Abstinenz
meiner Frau immer wieder feststellen, dass ich ein Parade-Co-Abhängiger bin.
Und zwar ein äußerst aktiver. Heute vielleicht sogar noch viel mehr als
früher, denn ich bin mir ja mittlerweile bewusst darüber, was für einen Mist
ich manchmal mache. Außerdem entdecke ich immer mehr Abhängigkeiten bei mir,
die mir so was von auf den Senkel gehen, dass ich es hier gar nicht richtig
rüberbringen kann.
zurück...
Warum ich?
Die Tage gingen ins Land und Simone hatte bei der Suchtberatung angerufen.
Sagte sie mir zumindest. Es war ja zum Glück alles kein Problem. So, wie ich
es mir schon gedacht hatte. Schließlich hatten wir darüber gesprochen und
damit offen alles auf den Tisch gebracht. Von jetzt an musste einfach alles
gut werden. Das war völlig klar für mich. Eine andere Möglichkeit hätte ich
selbst nach längerem Nachdenken nicht gesehen.
Aber es wurde nicht gut. Im Gegenteil. Ich sollte schon bald merken, wie weh
es tut, wenn man nach so einem Hochgefühl auf die Schnauze fällt. Im freien
Fall, wohlgemerkt.
Ich arbeitete zu der Zeit in einem großen Unternehmen in Mülheim. Morgens um
sieben Uhr fing ich an, denn ich wollte früh zu Hause sein. Wir machten
nachmittags immer alles zu dritt. Einkaufen, spielen, Freunde besuchen.
Einfach alles. Wenn ich von der Arbeit kam, sprang mir Robin immer mit
Anlauf von der Treppe direkt in meine Arme. Mein Gott, wie habe ich das
genossen. Ich wusste damals noch nicht, dass er kurze Zeit später der
einzige Grund war, warum ich mit allem noch weiter machte.
In Robins zweitem Jahr im Kindergarten hatten wir unsere erste Elternfete.
Wir stellten ein richtiges Programm auf die Beine, bei dem ich unter anderem
einen Betrunkenen spielte, der „Johnny Walker“ von Marius
Müller-Westernhagen imitierte. Wenn das nicht zu unserer Situation passte?
Am Ende des Programms tanzten alle auf der Bühne, die aktiv bei der Show
mitgewirkt hatten. Dabei fiel mir zuerst auf, dass Simone ziemlich albern
wirkte. Kurze Zeit später fiel sie zum ersten Mal um. Jemand half ihr hoch
und sie tanzte weiter. Bis sie erneut umfiel. Danach dauerte es dann nicht
lange, bis ich die Nase gestrichen voll hatte. Ich war der Meinung, dass
alle nur noch in unsere Richtung schauten und über uns redeten. Kurz danach
zog ich Simone aus dem Verkehr. Zum ersten Mal.
Ich war so was von enttäuscht, dass mir die Worte fehlten, dieses Gefühl an
dem Abend oder am nächsten Morgen Simone gegen-über deutlich zu machen.
Sie hatte es doch versprochen!
Sie hatte es mir hoch und heilig versprochen!
Sie wollte aufhören mit dem Trinken!
Und jetzt dieser Rückfall!
Meine Zweifel waren sofort wieder geweckt. Ich hatte ihr geglaubt, aber sie
hatte mich belogen.
Dieses Miststück!!!
Und sie hatte mich blamiert. Bis auf die Knochen. Ich wäre vor Scham am
liebsten im Boden versunken. Und alle würden sie jetzt über uns reden. Vor
allen Dingen über mich. Und ich konnte doch mit keinem darüber reden. Denn
es gab ja kein Problem, dass man besprechen konnte oder? Es sollte das erste
Mal sein, dass sich ein Gedanke in mir breit machte.
„Warum ich?“
Ein typischer Gedanke von uns Cos. Der typische Gedanke überhaupt.
Es gibt so viele Menschen auf der Welt, aber warum muss ich gerade dieses
scheiß Los gezogen haben?
Warum muss meine Alte saufen?
Warum ich??
Immer sind es nur die anderen, die einem die Tour vermasseln. Selber haben
wir nie Anteile an den vielen bescheidenen Momenten unseres Lebens.
Aber warum war mir das mit Simone denn eigentlich so peinlich?
Hätte ich nicht bleiben und weiterfeiern können?
Hätte ich sie nicht einfach machen lassen sollen?
War es wirklich Simone, die meine Stimmung kaputt gemacht hat?
Oder war ich es selber?
Haben die anderen Gäste wirklich so auf uns geachtet, wie es mir vorkam?
Fragen über Fragen, die ich da noch nicht einmal sah. Geschweige denn die
Antworten dazu kannte. Aber es ging mir auch gar nicht um Antworten. Es ging
mir darum, dass ich fremdgesteuert wurde. Von meiner Frau. In einer Art, die
mir überhaupt nicht gefiel. Und ich konnte nichts dagegen tun. Und das ist
das Schlimmste überhaupt. Du kannst nichts tun. Egal was Du tust, es ist
falsch. Weil es nichts bewegt. Ob Du schreist, ob Du tobst, ob Du redest
oder ob Du einfach nur ruhig und nett bist. Keine, absolut keine Deiner
Anstrengungen bringt einen Alkoholkranken dazu, sich zu ändern. Nichts,
außer seinem eigenen Willen. Und den hat er erst einmal nicht, weil er
trinkt.
Und ich als Co hatte ihn auch nicht. Weil ich ihn von der Stimmung meiner
Frau abhängig machte. Eine Stimmung, für die ich nicht verantwortlich war.
Damals fing ich an, mich für meine Unzulänglichkeit selbst zu hassen.
Aber woher sollte ich das denn wissen? Ich hatte eine Menge anderer
Probleme.
Ich musste mich schließlich darum kümmern, dass Simone mit allem irgendwie
klar kam. Ich musste jetzt auch noch ihr Leben organisieren. Damit nichts
auffiel. Damit es nicht noch peinlicher wurde. Für mich. Damit die Leute
nicht noch mehr über uns rede-ten. Und über mich.
Und damit meine Macht über sie zunahm.
Aber hallo!
Das einzig Gute an der ganzen Situation.
Ich hatte Macht über meine Frau.
Ich hatte es im Griff, Simone zu steuern.
Schade, dass das auch wieder ein Punkt ist, den ich erst nach meinem
„Erwachen“ registriert habe. Dass wir Cos erst kapieren, wenn wir
entsprechend an uns gearbeitet haben. Und, jetzt macht euch mal selbst
nichts vor, das geht euch genauso. Jedem einzelnen von euch. Macht haben ist
ein tolles Gefühl. Und es entschädigt oft für die vielen Peinlichkeiten und
verzweifelten Momente. Wenn der Alkoholiker schon nicht normal ist, dann
steht es uns doch wohl wenigsten zu, dieses erbärmliche Stück Leben zu
steuern oder etwa nicht? Wofür sind wir denn sonst noch gut? Das bisschen
Gefühl sollten wir uns doch wohl noch gönnen!
Ach übrigens. Der Alkoholiker gönnt sich das gleiche Gefühl auch mit uns.
Und seine Macht über uns Cos ist ungleich größer, als unsere Macht über ihn.
Verlasst euch drauf!
zurück...
Wie kann
man sich das bloß merken?
Simone war in den Tagen vor der Bewilligung ihrer Therapie ziemlich nervös.
Völlig nachvollziehbar für mich. Allerdings trank sie weiter, was mir nicht
gefiel. Und je näher der Tag der Abreise kam, desto mehr Probleme bereitete
mir dieser Zustand. Bevor es eskalierte sagte ich zu ihr, wie mir zumute
war.
„Ich weiß, dass Du hier jetzt nicht einfach so mit dem Trinken aufhören
kannst. Aber wenn Du schon trinken musst, dann tue mir den Gefallen und
bleib mindestens zwei Meter von mir entfernt, damit ich Deine Fahne nicht
mehr rieche. Mich kotzt dieser Gestank immer mehr an!“
Das war sehr hart und deutlich, aber anders konnte ich mit der Situation
nicht mehr umgehen. So blieben die letzten Tage erträglich, denn Simone
hielt sich an diese Abmachung.
Am Freitag vor dem Therapieantritt, also am 25.07.1997, hatte Robin seinen
siebten Geburtstag, an dem wir drei in den Zoo fuhren. Geburtstagsfeiern für
Robin mit unseren Familien hatten wir uns seit seinem zweiten Geburtstag
abgeschminkt, weil das immer nur Krach mit der Familie gab. So unternahmen
wir an diesem Tag immer etwas, wozu Robin Lust hatte. Und dieses Mal war es
halt ein Zoobesuch. Für mich war es ein ganz besonderer Tag, denn erstens
hatte mein Junior Geburtstag und zweitens war meine Frau endlich mal wieder
nüchtern. Denn auch trotz ihrer Alkoholabhängigkeit hatte Simone immer noch
Grenzen, die sie nicht überschritt. Und eine davon war, Robins Geburtstag in
seinem Sinne zu gestalten. Erst viel später erfuhr ich, dass sie einen Tag
vor dem Geburtstag zum letzten Mal getrunken hatte. Das Belohnungstrinken
nach dem Erhalt ihrer Kurbewilligung. Und selbst die drei Tage zwischen dem
Geburtstag und dem Therapiebeginn blieb sie trocken.
„Wie kann man sich das bloß merken?“
Den Spruch höre ich häufiger von Simone, denn ich habe anscheinend ein sehr
gutes Gedächtnis für die kleinsten Kleinigkeiten. Zum Leidwesen meiner
dadurch oftmals geplagten Umwelt. Daher weiß ich sogar noch, was am Samstag
nach Robins Geburts-tag abging. So gegen 22:30 Uhr. Da hatten wir nämlich
Sex. Und in unserer Beziehung war das mittlerweile so selten, dass man sich
das leicht merken konnte.
Ich höre euch gerade sagen, dass „Mann“ darüber nicht spricht. Und vor allen
Dingen nicht so öffentlich, wie in einem Buch.
Und warum nicht?
Bislang waren alle eure Antworten auf diese Frage lächerlich.
Also. Warum redet „Mann“ nicht über Sex?
Die Menschen schämen sich, wenn es um dieses Thema geht. Um die „normalste
Sache der Welt“, wie ihr es selber nennt. Ich bin mir sicher, dass euch
dieses Thema allen förmlich unter den Nägeln brennt. Und mit „euch allen“
meine ich nicht nur die Alkoholiker und ihre Cos. Sexualität ist aus meiner
Sicht eines der wichtigsten Themen überhaupt in einer Partnerschaft. Und
dabei rede ich nicht von Sex-Praktiken und Häufigkeiten. Gibt es dafür denn
einen Richtwert? Ich rede von Liebe, Zuneigung und Erotik. Gemäß Woody
Allen: Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu
fragen wagten.
Ja klar. Auch ich weiß genau wovon ich rede. Und auch bis heute habe ich
immer wieder Probleme mit diesem Thema, die ich erst ewig lang für mich
selbst überdenken muss, bevor ich mich meiner eigenen Frau gegenüber
offenbare.
Was denn?
Ich habe auch dieses Problem?
Wo ich doch so viel weiß?
Vor allen Dingen, wie man alles richtig macht?
Ich bin doch der Weltmeister oder nicht?
Die Antwort darauf ist so was von einfach.
Weil ich ein Mensch bin und damit alles andere als vollkommen!
Genauso wie jeder andere auch.
Aber ich habe zumindest gelernt, dass vieles geht, wenn man nur will und
wenn man es dann auch tut. Und das ist der Unterschied zu früher.
Ich habe dazugelernt.
„Wie kann man sich das bloß merken?“
In dieser Nacht, vom 26. auf den 27 Juli 1997, war es Sex mit Folgen. Mit
echten Folgen. Und diese Folgen dürfen im Auto mittlerweile sogar schon
vorne sitzen.
zurück...